Debatte

Beitrag der Gruppe f_act:

No safe spaces anywhere — Beobachtungen über Sexismus in der radikalen Linken. Wie wir an unsere Grenzen gelangen und wie wir dem entgegenwirken könnten

In den letzten Monaten gab es immer wieder erschütternde Nachrichten von sexistischen Übergrif- fen innerhalb der linken Szene. Die Vorfälle auf dem Monis Rache Festival, bei denen ein Mitglied des Organisationsteams Kameras auf Dixie-Toiletten versteckte und die Aufnahmen, ausschließlich von FLTI-Personen, später auf Pornoseiten veröffentlichte, sind dabei aus kollektiver Sicht nur die Spitze des Eisbergs. Diese Veröffentlichungen und unsere eigenen Erfahrungen in und mit der radi- kalen Linken waren für uns der Anlass, diesen Text zu schreiben.

Immer wieder müssen wir die Erfahrung machen, dass auch diese Szene keinen sozialen Raum dar- stellt, der frei von sexueller Gewalt[1] und Antifeminismus ist. Sobald ein neuer Vorfall aus dem nä- heren oder weiteren Umfeld bekannt wird, trifft es eine noch ein bisschen härter, als wenn es bei den vermeintlich „unreflektierten Normalos da draußen“ passiert. Das mag wohl daran liegen, dass man doch irgendwie dem Gedanken anhängt, dass die Welt innerhalb in der eigenen Szenebubble doch vielleicht ein bisschen besser ist als der Rest außerhalb.

Wir haben im Folgenden versucht, unsere Eindrücke und Erfahrungen in der linksradikalen Szene zusammen zu tragen. Unsere Erlebnisse und die aus diesen Erfahrungen hervorgegangene Analyse erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit[2], sondern sollen eine Diskussionsgrundlage für alle sein, die sich entweder mit uns gemeinsam oder in ihren Zusammenhängen in einen Prozess der Auseinandersetzung um die Ausgestaltung einer feministischen Linken begeben wollen. Unser Anliegen ist es außerdem, Gruppen und Einzelpersonen anzusprechen, die feministischen Positionen und Anliegen immer wieder Steine in den Weg legen und eine produktive Auseinandersetzung da- durch erschweren.

Beginnen wollen wir mit einigen Überlegungen zu den ‚Hürden‘, mit denen sich eine feministische Politik aus unserer Perspektive immer wieder befassen muss. Im Anschluss daran haben wir Bedin- gungen formuliert, die eine linke Szene erfüllen müsste, um ihrem feministischen Anspruch gerecht(er) zu werden.

Eingangs lässt sich festhalten, dass eine antisexistische Praxis innerhalb der Linken zum guten Ton zu gehören scheint. So gilt es als Konsens, dass eine (radikale) Linke feministisch und antisexis- tisch sein muss. Der Begriff Feminismus ist durchaus positiv besetzt, so gilt es als cool, Shirt und Jogginghosen mit einem feministischen Print zu tragen. Damit hört es aber dann leider bei vielen auch auf. So scheint weder das Empowerment von den Genossinnen noch die Reflexion des eigenen Verhaltens als feministische Praxis in diesem Kontext gefragt zu sein.
Folglich verbleibt eine antisexistische Arbeit zumeist als bloßes Lippenbekenntnis im Vergleich zu anderer, nicht minder notwendiger, linksradikaler Politik. Dies zeigt sich nicht nur bei der Ableh- nung von Definitionsmacht-Konzepten. Auch wenn es aus unserer Perspektive durchaus diverse legitime Kritiken an diesen Konzepten gibt, erscheint ein Vielfaches an benannter Ablehnung zu- meist in banalem Meckern oder dummen Pöbeleien zu verpuffen, von einer fundamentalen Ausein- andersetzung und möglichen Alternativvorschlägen einmal abgesehen.

Findet eine Party statt, wird dann oft die örtliche Frauengruppe gefragt, ob sie nicht die Awareness- Struktur stemmen kann, im besten Fall dann auch gleich mit eigenem Konzept. Beides sind Beispiele dafür, dass in Privat- und Politalltag Feminismus immer noch kaum eine Praxis ist.
Die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung läuft oft Gefahr, im wirklichen Ernstfall dann handlungsunfähig zu sein. So haben wir leider mehr als einmal Situationen erlebt, in denen Gruppen oder Einzelpersonen als Teil der radikalen Linken sich unfähig zeigten, einen Übergriff durch Genossen[3] zu adressieren, weil es vermeintlich keine_n Betroffene_n gab. Etwa, wenn diese_r in einer anderen Stadt lebte oder nicht darüber reden wollte. Handlungskompetenz und Verantwortlichkeit werden oftmals allein den Betroffenen zugeschrieben, als könne nur ein_e Kronzeug_in beweisen, dass sich jemand scheiße verhalten hat oder eben nicht.

Formulieren Betroffene aber einen Wunsch bezüglich des Umgangs in einer derartigen Situation, so wird diesem ebenfalls häufig mit Kritik begegnet. So etwa im Monis-Rache-Fall, als (potentiell) Betroffene überlegten, Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Dies wurde von anderen (potenziell) Betroffenen wie Nicht-Betroffenen mit der Begründung abgelehnt, dass man nicht mit dem Staat kooperiere. Betroffenen wird dementsprechend die Handlungsmöglichkeit abgesprochen, was eher als Folgeübergriffigkeit, denn als solidarische Unterstützung gewertet werden kann.

Schwierig, in manchen Fällen schier unmöglich erscheint die Ansprache von Gruppen oder Strukturen im Falle eines unangemessenen oder übergriffigen Verhaltens von Personen aus diesen Zusammenhängen. Anstelle eines Austausches über einen angemessenen Umgang in so einer Situation wird sich oft lieber darüber ausgeschwiegen. Es erscheint wichtiger, den Zusammenhalt zu wahren, wenn etwa gemeinsam zur nächsten Demo mobilisiert werden soll. Außerdem darf man sich in der Szene nicht angreifbar machen, auch nicht von Außerhalb.

Entsprechend wird sich zumeist nur im Falle eines konkreten, drastischen Vorfalls (i.d.R. eine Vergewaltigung) mit dem Thema Antisexismus beschäftigt und das Thema Feminismus im Zweifel einfach hintenangestellt. Gedanklich längst ad acta gelegt, schleicht sie sich aber durch die Hintertür wieder ein: Die Mär vom Haupt- und Nebenwiderspruch: Haben wir erst den Kommunismus, löst sich das mit der Männlichkeit schon von allein. In neoliberaler Manier schlägt dann die Effizienz die feministische Praxis. Begründen lässt sich dies unserer Meinung nach auch durch das Fehlen eines konkreten Rahmens. Manchmal ist es aber auch einfach der Ignoranz des sozialen Miteinanders geschuldet. So wird unangenehmes[4] Verhalten in linken Kontexten oder auch in der eigenen Politgruppe erst gar nicht angesprochen. Viel wichtiger erscheint es doch, alle zusammen für die Revolution (oder eben für den Kommunismus) zu sein. Das liegt ja auch viel näher, als sich mit dem Verhalten der eigentlich so korrekten Genossen auseinander zu setzen.

Konkret: Es fehlt die Bereitschaft, Konflikte und unreflektiertes Verhalten als politisches Problem zu betrachten und diesem Thema dementsprechend Zeit zu widmen. Insbesondere bei einer daran vorgebrachten Kritik beobachten wir eher konfliktscheues Verhalten.

Daraus resultiert, dass es selten einen offenen Austausch über Sexismus in der Szene im Allgemeinen und konkrete Vorfälle im Besonderen gibt. Die einzigen Handlungsoptionen scheinen entweder Rausschmiss oder Vertuschung zu sein. Der schon zu einer wahrlichen Floskel verkommende Ausspruch des „guten Genossen“ entschuldigt sein ab und zu vielleicht doch beschissenes Verhalten anderen gegenüber. Eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit dem eigenen Umfeld sieht anders aus.

Die schlechte Aufarbeitung von Vorfällen unterstützt bzw. bestärkt (zukünftige) Täter in ihren Handlungen. Wie scheiße sie sich auch verhalten mögen, es drohen oftmals keine Konsequenzen. Es wird immer Menschen geben, die ihnen den Rücken freihalten. Außerdem können sie sich schützen, indem sie zentrale Positionen in Gruppen, Vereinen etc. einnehmen. Aufgrund ihrer wichtigen Position gelten sie als unentbehrlich oder gegen jeden Zweifel erhaben („Nein, nicht der“, „Bei uns Linken passiert sowas nicht“).

In Gesprächen mit älteren Genoss_innen zeigt sich leider, dass sich die Geschichte zu wiederholen scheint. Eine konstante und produktive Auseinandersetzung mit dem Thema bleibt in der Regel aus. Nicht zuletzt erschwert das Fehlen von positiven Bearbeitungsbeispielen den Umgang mit konkreten Vorfällen. Im Gedächtnis geblieben sind meist heikle Diskussionen und Dissens. Schlimmstenfalls mündet dies dann in großen Unsicherheiten oder gar der Nichtauseinandersetzung mit dem Thema. Um handlungsfähig zu sein, müsste auf gemachte Erfahrungen zurückgegriffen werden können.

Eine szeneinterne Auseinandersetzung mit Antisexismus darf nicht auf oberflächlicher Ebene verbleiben. Solange es nicht über Lippenbekenntnisse getreu dem Motto „Alle zusammen für den Feminismus!“ hinausgeht und in diesem „Alle“ immer noch Personen mitgemeint sind, die sich zwar nach außen gegen Sexismus und Patriarchat positionieren mögen, sobald es aber um die eigenen Genossen geht, Relativierung und Täterschutz betreiben, kann von tatsächlichem Antisexismus keine Rede sein. Aufklärungsarbeit und Reflexion innerhalb der eigenen Struktur ist oft unangenehm und anstrengend, aber mindestens genauso notwendig wie das Thematisieren/Platzieren feministischer Themen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Die Szene muss bereit sein, Kritik anzunehmen und interne Lernprozesse einzugehen.

Als einen dieser Lernprozesse verstehen wir die persönliche sowie Szene-interne Auseinanderset- zung mit der Definitionsmacht. Die Auseinandersetzung mit dem Thema war für viele von uns, be- sonders in der beginnenden Politisierungsphase, ziemlich prägend. Zu diesem Zeitpunkt war gerade für die Frauen unserer Gruppe DefMa ein sehr empowerndes Machtmittel, als wir begannen, uns mit der patriarchalen Strukturierung der Welt zu beschäftigen. Die Reflexion darüber, wie wir die- ses zu unserem persönlichen Vorteil ausnutzten und andere Kehrseiten des Konzepts, setzte erst später ein.
Die Diskussion wurde auch öffentlich geführt (etwa in Zeitungen, Zeitschriften und Blogs), scheint aber heute in Vergessenheit geraten. Irgendwie nach dem DefMa-Prinzip zu handeln, hat sich hin- gegen institutionalisiert.
Es geht uns nicht darum, die Diskussion an dieser Stelle erneut zu führen. Vielmehr wollen wir auf die Gruppe e*space verweisen, die, unserer Meinung nach, wichtige zentrale Leerstellen des Kon- zepts aufgezeigt und die notwendige Thematisierung von autoritärem Verhalten und der Psychologisierung sowie die oftmals vorherrschende Unfähigkeit der Szene im Umgang mit den Tätern geleistet haben.[5]

Was wir von DefMa mitnehmen, ist: Den Betroffenen wird geglaubt. Das ist und bleibt wichtig. Andere Konzepte abseits dessen haben darüber hinaus versucht, nicht dort stehenzubleiben. Hier geht es uns vor allem um den Umgang nach einem Vorfall. Transformative und Community accountability Ansätze[6] arbeiten nicht einfach mit bloßen Ausschlüssen des Täters, sondern haben erkannt, wie wichtig auch die Arbeit darüber hinaus mit dem Umfeld ist.

Feminismus ist immer politisch und Politik muss feministisch sein. Daher bedeutet die Forderung, feministisch zu Streiten eben auch politisch zu streiten – und das auch mit den „eigentlich sonst total netten“ Genossen. Linke Männer müssen in der Auseinandersetzung um übergriffiges Verhalten und sexuelle Gewalt mehr Verantwortung übernehmen, dies bedeutet aber eben auch, kontinuierli- che und auch emotional anstrengende Arbeit zu leisten. Auch das ist für uns politische Arbeit. Jema(n)nden „einfach“ auszuschließen ist nicht (immer) zielführend, sondern entlastet nur vorder- gründig von der Verantwortung. Dass eine längerfristige Auseinandersetzung häufig vermieden wird oder aus sonstigen Gründen nicht passiert, ist für viele Feminist_innen eine ermüdende Erfahrung. Aus diesem Grund braucht es Unterstützung und den Willen der gesamten Szene, miteinander in die Auseinandersetzung zu gehen. „Alle zusammen für den Feminismus“ bedeutet auch, dass Täter nicht allein Schuldige sind. Sie sind verantwortlich für ihre Tat, jedoch ist der Zusammenhang, in dem sie sich bewegen, ebenfalls gefragt. Alltägliche Zwischenmenschlichkeit ist notwendig, wobei Empathie und Solidarität mit der_den Betroffenen sexueller Gewalt im Vordergrund stehen sollte.

Da es, wie bereits erwähnt, an positiven Beispielen des Umgangs mit sexueller Gewalt in der Szene mangelt, ist ein offener Umgang mit Unsicherheiten wichtig. Niemand kann immer direkt komplett zu Ende gedachte Lösungsvorschläge für konkrete Vorfälle erwarten, wenn in der Praxis meist schon beim Reden über Abstraktes komplett gegensätzliche Herangehensweisen formuliert werden. Einen angemessenen Umgang bei konkreten Vorfällen gilt es gemeinsam zu finden.

Sicher erscheint es unangenehm, wenn die Medien darüber berichten, dass ein vermeintlich linker Täter entlarvt wurde. So eine Berichterstattung wäre längst nicht so schwer ‚auszuhalten‘, wenn man guten Gewissens sagen könnte: „Ja, das ist passiert. Und das ist beschissen. Aber wir arbeiten daran und an uns selbst, dass sowas in Zukunft nicht mehr passieren kann.“

Verweise:

[1] Wir verwenden an dieser Stelle und im Weiteren die Formulierung „sexuelle Gewalt“. Dabei sind wir uns der Debatte um die Verwendung der Bezeichnungen „sexuelle Gewalt“ und „sexualisierte Gewalt“ bewusst. Dass wir von „sexueller Gewalt“ sprechen impliziert keine Ablehnung des Be- griffs „sexualisierter Gewalt“. Unsere Entscheidung für die Verwendung des Begriffs „sexueller Gewalt“ gründet sich auf die Einschätzung, dass der Begriff „sexualisierte Gewalt“ — wird er aus- schließlich verwendet — unterschlagen kann, dass in vielen Taten sexuelle Lust auch eine we- sentliche Rolle spielt. Dass eine sexuelle Handlung als Mittel zur Gewaltausübung genutzt werden kann, wird unseres Erachtens auch im Begriff „sexueller Gewalt“ deutlich.

[2] Unter anderem fand in letzter Zeit in der Jungle World, der Analyse & Kritik und einigen politi- schen Zusammenhängen eine Auseinandersetzung zu dem Thema statt.

[3] Wir sind uns bewusst, dass auch FLINT-Personen zu Täter_innen werden können. Weil männliche Gewalt jedoch ein strukturelles Problem ist und entsprechen wesentlich häufiger auftritt und eine andere Dimension annimmt, schreiben wir hier im generischen Maskulinum, um diese Tatsache nicht weg zu gendern.

[4] Das Wort „unangenehm“ mag salopp klingen. Der Gedanke dahinter ist der, dass es immer wieder dazu kommt, dass sich Leute so unangenehm verhalten, dass sich andere dadurch unwohl fühlen. Das fängt weit vor einem körperlichen Übergriff an, muss aber auch thematisiert werden können.

[5] http://evibes.blogsport.de/2014/11/18/wir-arbeiten-nicht-mit-definitionsmacht/

[6] Siehe hierzu etwa: https://jungle.world/index.php/artikel/2020/23/sanktionen-allein-helfen-nicht und https://jungle.world/index.php/artikel/2020/26/unterschiedliche-beduerfnisse-anerkennen.